Guido Knopp | Top-Spione. Verräter im Geheimen Krieg

Top Spione. Verräter im Geheimen Krieg

Top Spione. Verräter im Geheimen Krieg

Top-Spione. Verräter im Geheimen Krieg
Originalausgabe C. Bertelsmann 1994 (als Koautorin)

Leseprobe

“Der Referent“ (S. 179–237)

Nervös marschierte der Bundesminister für Post und Verkehr, Georg Leber, auf und ab. Horst Ehmkes Anfrage schob ihm den Schwarzen Peter zu:
“Lieber Georg”, las er, “kannst du trotz der Sicherheitsbedenken für Guillaume gutstehen?”
Aber ja doch. Georg Leber stand zu seinem Schützling. Günter Guillaume war absolut zuverlässig. Und loyal. Die Antwort des Ministers war eindeutig.
“Sehr geehrter Herr Ehmke”, diktierte Leber förmlich, obwohl er seinen Adressaten schon seit Jahrzehnten duzte. “Wie ich weiß, bewirbt sich Günter Guillaume um die Übernahme einer Aufgabe im Bundeskanzleramt. Ich kenne Herrn Guillaume seit längerer Zeit aus der politischen Zusammenarbeit in Frankfurt/Main. Er hat sich dabei stets durch Fleiß und Hingabe in der Erfüllung seiner Aufgabe bewährt und sie mit Geschick, Erfahrung und Intelligenz bewältigt.

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Das, was ich an ihm immer besonders geschätzt habe, sind seine Zuverlässigkeitund sein verantwortungsbewusstes Geradestehen für die freiheitliche Lebensart und Demokratie. Er hat mir in vielen schwierigen Situationen seine uneingeschränkte Vertrauenswürdigkeit bewiesen. Dieses gilt auf für seine Frau Christel, die seit langen Jahren Mitarbeiterin von Herrn Staatssekretär Birkelbach und gegenwärtig in der Staatskanzlei der Landesregierung Hessen in Wiesbaden tätig ist. Mit freundlichen Grüßen, Georg Leber.”
Mit diesem Brief, datiert vom 22. Januar 1970, erhielt ein DDR-Spion die Eintrittskarte in das Machtzentrum der Bundesrepublik, das Kanzleramt. Es hatte gute Gründe für den Brief gegeben. Georg Lebers Schützling war vor Wochen in die Mühlen der geheimdienstlichen Observation geraten. Begonnen hatte die heiße Phase des Falles Guillaume nach dem Wahlsieg der sozialliberalen Koalition im Oktober 1969. Willy Brandt war mit hauchdünner Mehrheit Kanzler geworden: der erste sozialdemokratische Regierungschef in Deutschland seit Reichskanzler Hermann Müller im Jahre 1930. Jetzt wollten die Sozialdemokraten nicht nur die Verantwortung in den Spitzenämtern, sondern auch auf der Ebene darunter – bei den Referenten.
Georg Leber hatte allen Grund, sich gegenüber Günter Guillaume dankbar zu zeigen. Dem Frankfurter Genossen war es gelungen, den Bundestagswahlkampf Lebers exzellent zu organisieren. Dieser zählte zum rechten Flügel der Sozialdemokratie und hatte es im traditionell linken Unterbezirk Hessen-Süd besonders schwer. Mit großem Einsatz schaffte es sein Wahlkreissprecher und Wahlkampfmanager Guillaume, ihm im Wahlkreis 140 zu einem satten Erststimmenanteil zu verhelfen. […]

Nicht der Hauch eines Zweifels wird spürbar, wenn Guillaume über seine nachrichtendienstliche Vergangenheit spricht. Nur an einem Punkt ist er sich doch nicht so ganz sicher: Hat er sich seinem Sohn gegenüber richtig verhalten? Er hing an Pierre, er liebte ihn und hätte ihm gerne mehr bieten wollen als das einstürzende Weltbild, das seine Verhaftung bei dem damals Siebzehnjährigen auslöste. In seinen Memoiren schwelgt Vater Guillaume in Erinnerungen. Von Sauftouren und Wochenendfahrten mit dem Halbwüchsigen berichtet er und von der ersten Liebe Pierres in Bad Godesberg.
Als der Vater verhaftet wurde, war Sohn Pierre fassungslos. Guillaume versuchte, ihm in aller Kürze noch ein paar Ratschläge fürs Leben zu geben: “Hab Vertrauen!” – “Lass dir nichts einreden, was du selbst nicht weißt!”- “Kopf hoch, du hörst von uns!”
Im Gefängnis wurde Guillaume klar, wie paradox diese Worte waren. In den schlaflosen Nächten seiner Haft grübelte er nach, wie der Junge wohl mit der neuen Lage fertig werden würde.
Und seine Ehefrau? Mit Christel war er fertig. Seit Jahren gab es allenfalls noch eine kameradschaftliche Bindung. Sie war ihm zu herrisch, zu grell. Mitunter floh er regelrecht – allein meist, manchmal auch mit Pierre. Dann machten Vater und Sohn zu zweit irgendwo ein paar Tage Männerurlaub. Der Vater beobachtete stolz, wie der Sohn zu einem feschen jungen Mann heranwuchs. Noch in der Haft erkundigte er sich besorgt bei Oma Boom, die mit ihrem Enkel später in die DDR zurückkehrte, wie es denn mit Pierres Hautausschlag stehe und ob der seit kurzem sprießende Bart da nichts verschlimmern könne.
Über Christel sprach Guillaume schon damals selten und tut es auch heute noch nicht gern. Während des Prozesses trug das Paar noch medienwirksam freundschaftliches Einverständnis zur Schau. Nach der Rückkehr in die DDR trennten sie sich bald. Mit dem Ende der Konspiration gab es keinen Grund mehr zusammenzuhalten.

Guillaume wurde 1981 aus der Haft entlassen und in der DDR nicht nur mit vaterländischen Verdienstorden, sondern auch mit einer Villa am See bedacht.
Die deutsche Einheit machte ihn erneut, diesmal legal, zum Bundesbürger. Hat Guillaume in den sieben Jahren seiner Haft neue Einsichten gewonnen? Nach außen hin natürlich nicht. Noch immer sieht er seine Spionagetätigkeit bei Brandt als “Meisterstück”. Die Geschichte seines Doppellebens schildert er als schillernden Roman, als Abenteuer mit dem einen und einsamen Helden – Günter Guillaume, dem “Kundschafter des Friedens”, dessen Wahlspruch lautet: Nur dem Tapferen hilft das Glück.
So sollte ihn sein Sohn sehen. Dennoch hat er ihn verloren. Pierre hat sich vom Vater losgesagt und trägt den Mädchennamen seiner Mutter: Pierre Boom hält heute ganz und gar zu Christel, die verbittert auf die Jahre mit dem Top-Spion zurückblickt: “Verlorene Zeit, verlorenes Leben.”
Damit meint sie nicht die Spionagearbeit. Dazu steht sie. Vielmehr meint sie die zahlreichen Amouren des Filous G. G. Wie ungeniert er sie gerade in der Bonner Zeit betrogen hat, erfuhr sie erst bei den Vernehmungen. Lange hat der Ex-Spion geschwiegen. Heute sagt er offen: “Christel hätte mich am besten gar nicht erst geheiratet. Ich kann nicht treu sein.” Solche Selbstkritik überkam den Ex-Spion erst in den letzten Jahren.
Er hat sich seinen Lebensweg zurechtgelegt. Da ist alles klar und logisch. Alles passt zusammen. Zweilfel, ob es sich gelohnt hat? Aber nein doch! Und so findet er es nachgerade “schön, dass die deutsche Einheit jetzt erreicht ist”. Die Erklärung ist bequem: “Als ich im Ausland war, hatte ich ja nur Idealvorstellungen von der Heimat. Aus heutiger Sicht, in voller Kenntnis der Situation der DDR, weine ich ihr keine Träne nach.”
Hatten wir erwartet, dass Guillaume sich immer noch in Treue fest zur DDR bekennen würde? Vielleicht hätte er dem SED-Staat schon im Jahre 1974 keine Träne nachgeweint, wenn er damals nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, in der Bundesrepublik bei seinem Übervater Brandt zu bleiben. Er hätte weiterhin im Dienst der Bonner Republik sein organisatorisches Talent aufblitzen lassen. Seinem Sohn hätte er ein aufmerksamer, liebevoller Vater sein können. Und ab und zu wäre er nach Südfrankreich gefahren, um die Seele baumeln zu lassen. Froschschenkel haben ihren eigenen Reiz.
Dieses Leben hat ihm nicht nur der Verfassungsschutz vermasselt, sondern auch die DDR.

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